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Das Wild Wide Web – ein Space der (un)begrenzten Möglichkeiten

„[…] denn wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft stellen und durch den digitalen Fortschritt wird sich vieles ändern. Wir alle sehen das. Allein das Smartphone steht prototypisch dafür. Und Arbeitsplätze, die heute sicher erscheinen, müssen weiter sicher gemacht werden. Die Bildung muss umgestellt werden. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf den Start mit neuen Möglichkeiten des digitalen Zugangs zu ihrem Start ausrüsten. All das sind die großen Aufgaben!“

Mit diesen Worten leitete die Kanzlerin ihr Abschlussplädoyer im Rahmen des TV-Duells zur Bundestagswahl 2017 am 3. September 2017 ein. „ENDLICH!“ möchte man schreien, ob man Merkel nun schätzt oder auch nicht. Was die Kanzlerin als „Digitalisierung“ bezeichnet und was fast harmlos klingt, umfasst so viel, viel mehr als dieses kleine Wort zunächst zu transportieren vermag.

In Sekundenschnelle können Informationen ausgetauscht (und gespeichert), Datenbanken nach Stichwörtern durchsucht, Bücher, Kleidung, Elektrogeräte gekauft und komplexe Systeme verknüpft werden. Inserate werden sondiert und verglichen, bis das bestmögliche Angebot gefunden ist. Und dank user-zentrierter und dynamischer Angebote ist das alles noch persönlicher und intuitiver. Das Internet kennt uns und was wir wollen. Unsere verschiedenen Endgeräte verknüpfen sich und werden von Information zu Information intelligenter, vernetzter. Praktisch und gruselig zugleich. Nachrichten werden in Echtzeit mit der Öffentlichkeit geteilt. Bewertungen und vor allem Weiterempfehlungen sind an der Tagesordnung. An welchem Ort sich der jeweilige Kommunikationspartner dabei befindet, spielt keine große Rolle, denn Länder und Kontinente verschwimmen und jegliche Raum- und Zeitgrenzen werden überwunden. Ob ich heute in der Kirche war? Na klar, mein Avatar war erst im Petersdom und danach zur Messe im Kölner Dom. Maximales Wissen, ständiger Austausch und Partizipation – Willkommen im digitalen Zeitalter, willkommen in der Realität.

Wenn nicht alles irgendwie auch noch eine Kehrseite hätte. Die 24-Stunden-Verfügbarkeit sowie Echtzeit-Anwendungen sorgen nicht nur für große Bereicherung und neue Jobprofile, sondern bedeuten auch, dass Unternehmen keine uneingeschränkte Kontrolle mehr über die Wahrnehmung ihrer Marke und möglicher Kommentare haben. Denn nie war es einfacher und schneller möglich Meinungen und Mitteilungen zu verbreiten. Informationen sind permanent zugängig. Feierabend? Fehlanzeige! Auch im Duden wurden nun Wörter wie Cyberkrieg, Fake News, Hasskriminalität, Lügenpresse und Shitstorm aufgenommen und zeigen die Aktualität der Schattenseite.

Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. verstärken die Verbreitung und das Wachstum von Inhalten zusätzlich. Homophobie, Antisemitismus, Rassismus, Mobbing finden Platz und werden leider immer alltäglicher. Daten werden gespeichert und es wird undurchsichtiger wofür und warum.

Wie geht man dagegen vor? Wie schützen wir uns? Und wie löscht man ein digitales Feuer? Genau das stellt Unternehmen und Webseitenbetreiber vor Herausforderungen. Denn obwohl man sich wünscht, dass im virtuellen Raum die gleichen Regeln wie in der Realität gelten, hapert es an der Umsetzung. Das heißt, dass nicht nur Krisen-PR auf ein neues Level gebracht wird, sondern auch Gesetze neu formuliert werden und umsetzbar gemacht werden müssen.

Das Netzwirkungsgesetz trat im Juni 2017 in Kraft und ist ein Anfang, ein kleiner. Facebook und Co. müssen fortan binnen 24 Stunden nach Erhalt einer Beschwerde offensichtlich strafbare Inhalte löschen bzw. sperren. Helfen sollen im Übrigen AI-Funktionen. Selbstlernende Maschinen sollen erneutes Hochladen vermeiden, indem sie erkennen, wenn bekanntes Material erneut versucht wird hochzuladen. Wer entscheidet aber nun welcher Inhalt offensichtlich strafbar ist und welcher nicht? Die Einschätzung darüber und eine letztliche Löschung wird auf die Plattformen abgewälzt. Und was eigentlich zu einem friedlichen Miteinander verhelfen soll, lässt so gleichzeitig wiederum Kritiker aufhorchen. Denn aus Angst vor hohen Strafen, neigen Seiteninhaber dazu mehr zu löschen, als nötig. Die Löschung von Inhalten wird damit ein stückweit zum Angriff auf Presse- und Meinungsfreiheit. Und ferner stellt man sich die Frage, sind die Informationen denn wirklich weg, nur weil sie gelöscht wurden? Oder verstecken sie sich noch in irgendeiner kleinen Ecke im Silicon Valley?

Die Entwicklung schreitet von Tag zu Tag voran und den Gesetzgebern fällt es schwer hinterherzukommen und mit der exponentiellen Entwicklungskurve Schritt zu halten. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen legal und illegal mehr und mehr. Und trotz der beängstigenden Kehrseite nutzen wir es doch, das große Space der unzähligen Möglichkeiten. Wir sind abhängig vom WWW – wie von einer Droge, die einerseits Rausch verspricht, andererseits potentiell gefährliche Folgen innehält.

Die Kanzlerin hat recht: Es ist mehr als an der Zeit, sich auch in der Politik ausgiebig mit Big Data, Industrie 4.0 und Co. zu befassen – die Vorteile zu nutzen und genauso Lösungsvorschläge für etwaige Folgen vorzustellen. Denn aus Angst vor Gefahren wieder zum Dosentelefon zu greifen, ist keine Option.

Mich erinnert die Unendlichkeit des World Wide Web auch irgendwie an Bangkok, – eine Stadt, die niemals schläft, in der permanenter Verkehr und Bewegung vorherrschen, in der konstante Aufmerksamkeit erforderlich ist, in der es immer wieder kracht, und die trotzdem gefragt ist, wächst, Lösungen findet und sich neu entdeckt. Eins ist klar, es bleibt spannend. Bangkok oder gleich zum Mars? Wohin geht die Reise als nächstes?

 

Von Nora Goette