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Corona-Krise: Klatschen statt Kommunikations-Klatsche

Gerade jetzt ist das kreative Kommunizieren wichtiger denn je. Und Fehler sind folgenreicher als sonst. Was wir vom Massen-Beifall aus Italien und Spanien lernen können.

Jeden Abend, Punkt 20 Uhr, gehen Fenster und Balkontüren in Italien und Spanien auf und das emotionalste Signal der Dankbarkeit beginnt: Klatschen für die Ärzte, die Krankenschwestern, die Polizei und sonstigen Hilfskräfte. Klatschen als unüberhörbares Zeichen der Kommunikation. Klatschen als Zusammenhalt, als Kraftakt jedes Einzelnen. Was für eine schöne Geste.

Die Klatsch-Symbolik führt vor Augen: Corona lenkt bisherige Kommunikationswege in völlig neue Bahnen. Und dieses Klatschen, das in Italien oftmals auch auf Beerdigungen respektvoll eingesetzt wird, ist ein Signal, ein kommunikatives Jetzterstrecht!

Viele Unternehmen, auch Medienhäuser oder Agenturen sehen dieses Jetzterstrecht nicht. Sie verfallen in Schockstarre wie ein vom Autolicht geblendetes Reh auf der Schnellstraße. Natürlich überschlagen sich die Ereignisse und Einschränkungen, aber damit müssen wir umgehen. Nach einer aktuellen Umfrage des Gesamtverbands Werbeagenturen GWA erwarten 58 Prozent der Agenturen negative Auswirkungen durch Corona. Wie kann das sein? Was läuft da falsch in unserer Branche?

Jetzt zeigt es sich, ob die ganzen Diskussionen der vergangenen Monate um das Thema Haltung wirklich ernst gemeint waren, oder ob das Ganze nur billiges Geblubber war. Es ist höchste Zeit, dass sich Unternehmen und Agenturen endlich ihrer Verantwortung bewusst wurden und „Respekt“ auf ihre Fahnen schreiben. Respekt vor den Kunden, Respekt vor der Gesellschaft, vor allem Respekt gegenüber den eigenen Mitarbeitern.

Der Härtetest dafür trägt den Namen Corona. Corona zeigt ausgerechnet der Kommunikationsbranche, wie Kommunikation definitiv nicht funktioniert. Aber Corona zeigt auch, wie Kommunikation massiv mithelfen kann, die Krise zu überwinden. Denn gerade jetzt kommt es auf die genaue Tonalität an, auf Nuancen in der Ausdrucksweise, auf den exakten Zeitpunkt einer Kommunikationsmaßnahme – und zwar nach innen wie nach außen. Das Klatschen etwa ist von seiner Wirkung her einfach genial.

Beginnen wir mit einer scheinbaren Banalität: Home Office. Als am vergangenen Mittwoch die WHO offiziell die Pandemie ausrief, war das nicht unbedingt als Witz zu verstehen. Und doch gab es nur wenige Unternehmen, die ihre Teams – wenn irgendwie möglich – sofort ins Home Office schickten. Als wir diese Maßnahme bei schoesslers kommunizierten, kamen nicht nur Dutzende von Kunden auf uns zu, die auch sofort handelten, sondern es meldeten sich etliche Mitarbeiter von anderen Agenturen und Unternehmen, denen verboten wurde, im Home Office zu arbeiten. Obwohl es technisch als auch inhaltlich problemlos möglich gewesen wäre.

Wer so fahrlässig handelt, versagt nicht nur bei weiteren Themen des Employer Brandings, sondern auch unternehmerisch. Denn unternehmerisch-verantwortliches Handeln ist zugleich gesellschaftliche Verantwortung, womit wir wieder bei dem Thema Haltung wären. Wie sich das Coronavirus verbreitet, je nach Maßnahme, zeigt eindrucksvoll die Simulation der Washington Post:

http://www.washingtonpost.com/graphics/2020/world/corona-simulator/

Nun geht es aber nicht nur darum, dass Unternehmen handeln, sondern dass sie ihr Handeln auch kommunizieren. Denn nur dadurch, dass man weiß, andere ergreifen auch ungewöhnliche Maßnahmen im Kampf gegen Corona, handelt man selbst auch. Kommunikation ist das, was uns treibt, ist das, was uns verbindet, ist das, was uns kreativ macht. Denn: Jede Idee hilft.

Das betrifft ganz stark die Organisation des Home Office. Wer als Person noch nie Home Office gemacht hat, fühlt sich oft alleine gelassen, mit einer sinnlosen Kaffeetasse in der Hand. Daher empfiehlt es sich, Alltagsrituale aus dem Job in die neue Home-Office-Situation zu übertragen. Das am Morgen dem Team zugeworfene „Moin“ sollte in einem Abteilungs-Check-in zelebriert werden. Dabei sind private Sätze, vor allem der Führungskräfte, durchaus sinnvoll und motivierend. Konferenzen oder geplante Besprechungen mit dem eigenen Team auf keinen Fall absagen, sondern erst recht durchführen.

Bei uns in der Agentur trifft sich eine Unit sogar per Bildschirm zum gemeinsamen Mittagessen und ein anderes Team zum persönlichen Austausch beim regelmäßigen Video-Kaffee am Nachmittag. Warum nicht? Und am Freitag klingt in unserer Agentur die Woche mit einem Gläschen Wein, Bier oder Cola aus, auch dieser Ritus darf nicht gestrichen werden, er ist wichtiger denn je. Prost am Bildschirm!

Wie verbindend ausgerechnet eine Zwangstrennung von Menschen sein kann, beweisen Tag für Tag unsere südeuropäischen Nachbarn in Italien und Spanien, nicht nur mit ihrem Massen-Beifall, der je nach Region auch zu anderen Zeiten stattfindet. Manche singen auch auf Balkonen zu bestimmten Zeiten oder machen sich zum Müllentsorgen so zurecht, als gingen sie in die Oper. Verbindend werden aber auch diese Maßnahmen erst durch Kommunikation. Die Sympathiewerte für Italien steigen aufgrund der vielen geteilten Videos und Fotos. Das sollte sich unsere Kommunikationsbranche zu Herzen nehmen.

Natürlich lässt sich nicht alles über den heimischen Schreibtisch lösen. Was mich persönlich aber schon immer geärgert hat, nach 20 Jahren Erfahrung im Home Office mit wöchentlich ein bis zwei Tagen: Wenn zu diesem Thema Bilder vermittelt werden, etwa, wie man ja dann auch Wäsche machen könne, sich mal einen Sonnenstrahl gönnen könne und so weiter. Mitarbeiter*innen, die regelmäßig Home Office praktizieren, arbeiten diversen Studien zufolge zu 80 Prozent effizienter. Sie bewältigen deutlich mehr Arbeit, so dass man manche Menschen eher vor sich selbst schützen muss.

Was in der jetzigen Situation eine der größten Herausforderungen darstellt, ist die Organisation der Kinderbetreuung. Gerade jetzt, wo Kitas und Schulen geschlossen sind. Großeltern sollten wirklich nur in die Pflicht genommen werden, wenn sie klar unter 65 Jahre alt sind. Aber die hat kaum jemand. In unserer Agentur haben wir mit jedem einzelnen Vater und jeder einzelnen Mutter Lösungen gesucht, wir müssen hier viel ausprobieren und werden nach weiteren kreativen Lösungen Ausschau halten – und sollten uns in dieser Branche genau über solche Themen kommunikativ austauschen. Damit Kommunikation Hilfe zur Selbsthilfe wird.

Kommunikatoren dürfen sich allerdings nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Das ist ein Anfang, doch es geht um mehr. Sehen wir diese Krise endlich auch mal als Chance. Als Chance, die Kraft der Kommunikation zu begreifen. Schon immer habe ich mich über den Begriff „Werbeausgaben“ gewundert. Wer Gelder für Werbung oder sonstige Kommunikationsmaßnahmen als „Ausgaben“ betrachtet, hat seinen Job nicht verstanden. Denn es geht um „Kommunikations- und Werbeinvestitionen“. Und genau darum geht es auch jetzt, im Corona-Wahn.

Ein Kunde rief mich heute an, meinte, dass man die Werbebudgets erst einfrieren wollte, doch dann kam man zu dem Ergebnis: Jetzt kommunizieren wir erst recht! Als Zeichen für die Gesellschaft. Jeder Zentimeter Normalität wird gesucht und gebraucht. Das betrifft gerade auch die Kommunikation.

Natürlich ist es ein absolutes Desaster, was da im Event- und Veranstaltungsbereich nicht läuft. Keine einzige Veranstaltung mehr, die noch stattfindet. Ein grauenhaftes Drama natürlich für die Organisatoren.

Doch für Besucher, Aussteller, Referenten, etc, auch hier: Messen und Events sind eine kommunikative Plattform neben einer gedruckten Zeitschrift, einem virtuellen Newsletter oder einer social-media-Aktion. Auch ich bin ein großer Freund des persönlichen Gesprächs, doch anstatt zu heulen sollten wir uns lieber um kommunikative Alternativen kümmern.

Nehmen wir als Beispiel die Vogel Communications Group, zu der unsere Agentur schoesslers gehört. Die Würzburger haben sämtliche Veranstaltungen bis zum 19. April abgesagt. Das ist übel. Aber das findige Team schaut nach vorne: „Wir stellen neue digitale Möglichkeiten für Austausch, Information und Begegnung zur Verfügung“, heißt es dort. Unter anderem habe man dazu die digitale Plattform  industrial generation network  aufgebaut. Binnen weniger Tage stand die Idee, 600 Unternehmen schlossen sich dem Vorstoß innerhalb der ersten Woche an, zudem 240 Experten. Was für eine coole Sache.

Das Beste an dieser Idee ist, dass hier eine Plattform gegründet wurde, die Unternehmen helfen soll, ihre Themen zu kommunizieren. Und genau darum geht es doch auch jetzt: Dass Unternehmen, ob Markenartikler, Medienhäuser oder Startups, nicht damit aufhören, zu kommunizieren. Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Entscheidung und Verantwortung, sondern auch für absolut jeden Menschen, jede Persona, jede Zielgruppe relevant: Jede Kommunikationsmaßnahme ist ein Procedere, ein Fortschreiten, ein Vorantreiben, ein Zeichen, dass es weitergeht. Wie gesagt, ein Zeichen, dass auch das normale Leben existiert. Es wird der Tag kommen, an dem kein Mensch mehr was von Corona hören will und Flucht in anderen Themen sucht.

Andere Themen? Das kann Ablenkung sein, das können Spiele sein, Bücher, Radio, Fernsehen. Formate, die sonst nicht unbedingt verfolgt werden. Längst steigen wieder sämtliche Quoten. Andere Themen können aber auch echte Probleme sein, etwa der Umgang mit geflüchteten Waisenkindern. Andere Themen können sehr bald auch scheinbare Banalitäten sein, die Urlaubsplanung, Träume, Inspirationen. Investitionen.

Auch darauf muss sich die Kommunikation von Unternehmen einstellen. Kommunikation hat einen StellenWERT wie lange nicht. Nicht jedes Unternehmen versteht es, in diesen Zeiten sensitiv mit den eigenen Mitarbeiter*innen umzugehen. Gut gemeintes kann schnell verschrecken. Nicht jedes Unternehmen versteht es, sensibel auf Kundenwünsche einzugehen. Darf man jetzt als Krisengewinnler wahrgenommen werden? Soll ich als Fluglinie kommunizieren, dass alle Tickets kostenlos stornierbar oder umzubuchen sind? Jetzt, wo Flughäfen geschlossen wurden?

Die Antwort lautet: Ja! Aber anders. Feinfühliger kommunizieren. Mit offenem Visier. Den Kunden begleiten. Partner sein. So wie Agenturen auch Partner ihrer Kunden sein müssen. Kein Mensch weiß, was morgen passiert. Also müssen wir kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Das stärkt das Vertrauen, das Miteinander.

Jetzt ist nicht die Zeit der Renommisten. Kommunikation funktioniert stärker denn je mit Vorsicht, Ehrlichkeit und mit dem Aufzeigen einer realistischen Perspektive.

Das absolut falsche Zeichen ist, sich jetzt zu verstecken. Jedes Unternehmen, jede Agentur muss Verantwortung leben und zeigen. Schon wieder sind wir beim Thema Haltung. Und beim Klatschen in der Öffentlichkeit.

Im Privaten sollte man zum Beispiel jetzt Gutscheine seines Lieblingsrestaurants oder Kleintheaters kaufen, als Zeichen, dass es ein Weiter gibt. Habe ich irgendwo gelesen, ist ein schöner, ausbaufähiger Gedanke.

Was die ganzen Zeilen sollen?

Für uns alle ist die Situation neu. Wir müssen gegenseitig lernen, wie wir optimal damit umgehen. Und dieser Lernprozess kann nur durch Kommunikation funktionieren.

Das Kommunizieren hilft aber auch massiv, die eigenen Mitarbeiter*innen mitzunehmen, die Kunden nach vorne zu bewegen, um Corona so stark wie möglich zu trotzen.

Also, dann hören wir uns um 20 Uhr von Fenster zu Balkon. Beim Klatschen!

 

Von Dr. Jochen Kalka, Geschäftsführung schoesslers GmbH

Dieser Beitrag wurde bei kress.de veröffentlicht.