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Die Geschichte einer Entliebung

Seit zehn Jahren nutze ich Facebook. Schaue ich mir das Protokoll an, in dem meine
Aktivitäten für die Ewigkeit in die Tiefen des World Wide Web gebrannt sind, muss ich schmunzeln. So sehe ich prima, wie sich Facebook, das Nutzungsverhalten meiner Freunde und auch mein eigenes über die vielen Jahre verändert haben. Schrieben wir anfangs noch digital aufgeregt der Auch-in-echt-Freundin „Hey, wie geht es dir“, erfreute ich mich an dem an Backpacker-auf-Weltreise-erinnernde „Du auch hier?“ oder dem aufrichtigen „Schön, dass wir auch hier befreundet sind“, kommt heute so ein naiver Post längst nicht mehr vor. Der ursprüngliche Sinn und kommunikative Nutzen des klug erdachten digitalen Jahrbuchs ist tot, bzw. hat sich gewandelt, sich an die Bedürfnisse seiner Mitglieder und, klar, auch an die Möglichkeiten der Technologie und des Geldverdienens angepasst. Angetrieben durch Algorithmen, die Gutes wollen und – in meinem Fall – Böses schaffen, die aus einer lokal gedachten Kommunikationsplattform über die Zeit ein Big Business der Inhalte gemacht haben, die nur noch am Rande etwas mit Kommunikation oder Menschen im echten Leben zu tun hat.

Habe ich früher das stolz gepostete Urlaubsbild eines Freundes kommentiert, ereifere ich mich heute nur noch über in scharfe Headlines verpackte Nachrichten von Verbrechern, Umweltsündern und anderen Schurken. Facebook und sein Kompagnon, Mr. Algorithmus, haben aus mir einen emotionalen Fender gemacht. Ich reagiere nur noch auf Posts, deren griffige Headlines mich so aufrühren, dass ich sofort in einen Aktionismus verfalle, der im Teilen des Contents, mal mit Kommentar mal ideenlos ohne, endet und in den Weiten des sozialen Netzwerk-Universums echolos verpufft. Inzwischen, die Maschine ist richtig heiß gelaufen durch meine wütenden Likes und Kommentare, erhalte ich nur noch Schreckensnachrichten aus der ganzen Welt, von Timbuktu bis Bottrop, alle Verbrechen der Welt zu mir. Ich bin zu einem global denkenden Schreckensnachrichten-Resonanzkörper geworden und Facebook ist meine Quelle, mein digitaler Ort des auf mich zugeschnittenen Nachrichten-Gräuels. Und ich denke, genau deshalb funktioniert Facebook auch bei den echten Wutbürgern so gut. Man lebt kommunikativ in einer Netzwerk-Content-Blase, spielt sich die Posts hin und her, man schaukelt sich hoch, die selektierten Nachrichten verdichten sich, bis sie zur alternativen Wirklichkeit werden, weil andere Meinungen oder einfache Wahrheiten schlicht nicht mehr auftauchen im persönlichen Newsfeed. Bei den einen wird alles zu einer braunen Sauce, bei mir zu einer einzigen World-Wide-Crime-Story. Klar hat dieses algorithmisierte Problem der Zuspitzung Facebook längst erkannt und verspricht, technologisch dagegen zu steuern, die ursprüngliche Kommunikationsbande zu Friends & Family wieder zu stärken, „back to the roots“ lautet inzwischen also das Kommando. Gut! Vielleicht aber für mich zu spät. Stand heute: Ich bin drüber und durch mit Facebook. Ich habe mich entliebt, bin satt vom einsamen Konsum globaler Katastrophenmeldungen. Es ist Zeit für eine 2.0-Facebook-Version. Wer, liebe Freunde, macht mit?

Von Stephanie Eschen