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Jenseits der Pinnwände: Die digitale Müllabfuhr der sozialen Netzwerke.

Der Film “The Cleaners” berichtet über die Drecksarbeit unterbezahlter Filippinos, die gefährliche Inhalte in sozialen Netzwerken löschen und dabei schwere psychische Schäden in Kauf nehmen.

Soziale Netzwerke haben ein Ziel: Geld zu verdienen. Das schaffen sie, indem sie die Timelines ihrer Nutzer mit interessanten Inhalten bespielen. Je länger Nutzer online sind, klicken, liken, uploaden und wischen, desto mehr Werbeanzeigen werden ihnen angezeigt und beim Unternehmen klingelt die Kasse. Ein weiterhin lukratives Geschäft, bedenkt man, dass sich jeder Dritte ein Leben ohne Facebook und Co. nicht mehr vorstellen kann, wie die aktuelle Bitkom-Studie zur Nutzung von sozialen Netzwerken zeigt. Dabei verschwimmen die Online- und Offline-Welten tendenziell immer stärker, denn online wie offline wird geshoppt, mit Freunden kommuniziert, werden Nachrichten konsumiert, Bewerbungsgespräche absolviert und vieles mehr. Ebenso wie im Offline-Leben, entsteht auch in der Online-Abbildung einer Wegwerfgesellschaft Müll, der entsorgt werden muss. Was auf der Straße die Müllabfuhr übernimmt, findet online im Verborgenen und fernab unserer besenreinen Pinnwände statt. Die Rede ist von digitalen Reinigungstrupps, die die sozialen Netzwerke säubern. Uns Konsumenten bleibt lediglich das, was uns Facebook, Google und Co. servieren. Doch was wird gelöscht? Wer entscheidet darüber, was wir sehen? Und wie sieht die Arbeit der digitalen Müllmänner aus? Diese Fragen haben sich Hans Block und Moritz Riesewick, zwei Theaterregisseure aus Berlin, gestellt. In ihrer aktuellen Dokumentation “The Cleaners” decken sie die Missstände outgesourcter Konzern-Mitarbeiter auf, die fernab des Silicon Valleys in Manila um unsere Pinnwände putzen, damit wir von Live-Selbstmorden, Kindesmisshandlung und Terror-Videos verschont bleiben. Dabei zeigen sie das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der großen Konzerne auf und geben Einblick in die menschenunwürdige Arbeit der digitalen Reinigungskräfte.

Der Film “The Cleaners” nimmt seine Zuschauer mit in die fernen Häuserschluchten Manilas. In verspiegelten Wolkenkratzern sind die Büros der “Cleaners”. Ihre offizielle Berufsbezeichnung ist “Content-Moderator”. In klimatisierten Räumen starren sie in Schichten auf Monitore und selektieren Material der sozialen Netzwerke, das als “gefährdet” eingestuft ist. Pro Bild oder Video bleiben ihnen acht Sekunden, um zu entscheiden, ob es gelöscht wird oder nicht. Bei dem Material handelt es sich überwiegend um Live-Selbstmorde, Kinderpornografie, Folter und Terroranschläge, aber auch um satirische Inhalte, Kunst oder Bilder, die zur Aufklärung von Kriegsverbrechen beitragen können. Den Unterschied zwischen Gewaltvideos und Satire erkennen die Mitarbeiter in der Regel nicht, da ihr kultureller Hintergrund zumeist keine Differenzierung dessen möglich macht.

Pro Schicht schwappt eine Welle des Grauens über die einzelnen Mitarbeiter, die bei Unterfirmen der Internetkonzerne angestellt sind, ein Berufszweig, der unter strikter Geheimhaltung und Beobachtung agiert. Die geschätzte Zahl der angestellten Reiniger übersteigt die der offiziell genannten Mitarbeiter von Facebook und Co. Verschwiegenheitsklauseln in den Arbeitsverträgen, die über den Anstellungszeitraum hinaus gelten, verbieten den Content-Moderatoren, über ihre Arbeit zu reden. Sie sind der Gewalt der Bilder schutzlos ausgeliefert und bekommen keinerlei psychische Unterstützung, weshalb die Selbstmordrate laut Block und Riesewick extrem hoch ist. Für die Arbeit in einem klimatisierten Hochhaus und einem Gehalt, das immerhin höher ist als das herkömmlicher Jobs in Manila, dem Ort, in dem jahrzehntelang der westliche Giftmüll abgeliefert wurde, nehmen die Männer und Frauen psychische Langzeitschäden in Kauf. Befragt man die in den USA ansässigen Auftraggeber nach der Filterung von Inhalten, verweisen ihre Sprecher darauf, lediglich eine Plattform zu sein, doch welche Macht dahinter steckt, wird in diesem Kontext strikt verwischt. “The Cleaners” – ein Film, der ungeschönt den Vorhang hinter die Kulissen der großen Internetkonzerne öffnet, dessen Produkte wir täglich konsumieren.

Der Film “The Cleaners” hatte bei mir die gleiche Wirkungskraft, wie das Buch “Tiere essen” von Jonathan Safran Foe: der Blick hinter die brutalen Kulissen einer von mir täglich unterstützten Branche, der mich schockiert hat und ratlos zurücklässt. Der Film hat mich kritischer gegenüber den sozialen Netzwerken und der Glaubwürdigkeit ihrer genannten Ziele werden lassen, befinden wir uns dort scheinbar alle in einer einzigen Filterblase. Ein Konzern wie Facebook, der sich lediglich als Plattform platziert und jegliche Verantwortung für Inhalte und Angestellte von sich weist, birgt für meinen Geschmack ungeahnte Risiken.

 

Von Katrin Theiner